Sitzung: 30.08.2012 103/085/2012
Die folgende Präsentation bezieht sich auf beide Tagesordnungspunkte und
trennt thematisch nicht.
Herr Dr. Rausch vom Kinder- und
Jugendärztlichen Dienst des Landkreises Oder-Spree leitet seinen Bericht mit
einem Beispiel aus der Praxis ein. Er erläutert den Ablauf einer
Arbeitstauglichkeitsuntersuchung bei einem 16-jährigen Mädchen. Sie hat 9
Schulklassen besucht und möchte ihren Hauptschulabschluss beim FAW absolvieren.
Ihr Wunsch ist es den Beruf der Floristin zu erlernen. Bei den verschiedenen Untersuchungen
(medizinische Belange spielen keine Rolle) wurde festgestellt, dass das Mädchen
weder Lesen noch Rechnen konnte und über keinerlei Allgemeinwissen verfügte.
Herr Dr. Rausch betont, dass dies kein Einzelfall darstellt und diese
sich gerade in Fürstenwalde häufen. Er weist nochmals darauf hin, dass diese
Jugendlichen keine geistig behinderten Menschen sind und daher nach Ursachen zu
suchen ist, warum sie nicht über die gewissen Grundkenntnisse verfügen.
Herr Dr. Rausch erläutert nun einige Fakten zu den
Einschulungsuntersuchungen 2011. Insgesamt wurden 1.400 Kinder untersucht,
darunter befanden sich 5,6% Wiederholer, 0,8% vorzeitige Einschüler
(Antragstellung durch die Eltern) und 93,6% rechtzeitige Einschüler. Bei den
Untersuchungen wurden Befunde wie Sprach- und Sprechstörungen,
Bewegungsstörungen, Neurodermitis, Sehfehler, Emotionale/soziale Störungen,
Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Störung, Untergewicht und Hörstörungen aber
auch Asthma bronchiale und Adipositas im Zusammenhang mit dem Sozialstatus der
Eltern festgestellt.
An erster Stelle aller Befunde stehen Störungen in der Sprache, wobei
auch hier zu beobachten ist, je niedriger der Sozialstatus ist desto größer
sind die Sprachprobleme. Es besteht der Verdacht, dass diese Kinder zu Hause viel
vor dem Fernseher sitzen und die zwischenmenschliche Kommunikation vernachlässigt
wird. Somit können die Kinder kein „richtiges“ Deutsch lernen. Des Weiteren ist
Herr Dr. Rausch der Meinung, dass das Lernen in den Kitas nicht ausreichend
ist, da dort ein elementares Deutsch (einfache Wörter) vermittelt wird, weil
hauptsächlich die Kinder miteinander reden. Aus seiner Sicht müssten die
Erzieherinnen und Erzieher in den Einrichtungen die Kinder nicht nur
beaufsichtigen und betreuen sondern mehr mit ihnen reden und vorlesen (vor
allem Märchen).
Zum Zeitpunkt der Einschulungsuntersuchungen erhielten im LOS bereits
27,4% der Kinder eine Förderung, wovon 62,6% der Eltern einen niedrigen
Sozialstatus aufweisen. Auf Grund der schulärztlichen Empfehlungen wurden 7,2%
der Kinder zurückgestellt und bei 15,4% wurden Befunde festgestellt, die noch
nicht behandelt wurden (Empfehlung an den Hausarzt).
Bei den Einschulungsuntersuchungen werden auch Unfälle erfasst, die
statistisch gesehen meist im Haushalt vorkommen. Sehr positiv erwähnt der
Referent, dass 94% der Einschüler an den Vorsorge-Untersuchungen (auch
Impfungen) teilgenommen haben. Dieses Ergebnis spiegelt sich auch im
Landesdurchschnitt wieder.
Abschließend bezieht sich Herr Dr. Rausch auf das anfangs erwähnte
Beispiel aus seiner Praxis und erläutert anhand einer Studie der Bertelsmann
Stiftung im Jahre 2008, den prozentualen Anteil der Jugendlichen in
Deutschland, in Berlin und Brandenburg und in den allen Landkreisen, die keinen
Hauptschulabschluss haben, der die Mindestqualifikation für den Beginn einer
Berufsausbildung bedeutet.
Herr Dr. Rausch ist der Meinung, dass die Eltern ein Tabu darstellen und
mehr in die Verantwortung genommen werden sollten. Daraufhin erklärt Herr Politz, dass schon mehrere Generationen
von Sozialarbeitern aktiv sind und versuchen die Eltern zu erreichen. Schon
seit Jahren ist aus den Kitas und den Grundschulen bekannt, dass bei den
Kindern erhebliche Mängel und Schwierigkeiten im Spracherwerb bestehen.
Maßnahmen auf Landesebene, wie Sprachuntersuchungen ein Jahr vor der
Schuleinführung haben nicht zur Problemlösung beigetragen. Besser angelegt ist
die altersintegrierte Sprachförderung (modellhaft), der sich auch die Stadt
Fürstenwalde angeschlossen hat. Problem dabei sind nicht die entsprechenden
Qualifizierungsmöglichkeiten sondern das fehlende Personal. Herr Politz weist
auf den bestehenden Personalschlüssel in den Kitas hin. Mit dem vorhandenen
Personal kann somit das Defizit im Elternhaus nicht kompensiert werden. Er
betont ausdrücklich, dass die Sprachförderung und die Elternarbeit in den Kitas
eine der Hauptsäulen der Arbeit darstellen und versichert, dass die bestehenden
Probleme durchaus gesehen werden.
Herr Dr. Rausch ist sich durchaus
bewusst, dass die Personaldecke in den Einrichtungen sehr dünn ist aber weist
darauf hin, dass mehr Elternarbeit erforderlich ist und führt beispielhaft
Gruppenarbeit mit den Eltern an.
Herr Politz versichert, dass
die Arbeit mit den Eltern erfolgt, bittet jedoch zu bedenken, dass dies Angebote
für die Eltern sind und ein Zwang zur Annahme nicht möglich ist. Aus diesem
Grund ist nur eine geringe Resonanz auf die Angebote der Kitas zu verzeichnen.
Auf die Frage vom Referenten wie man diese steigern könnte erklärt der
Fachgruppenleiter, dass dies bereits Gegenstand jahrelanger Zusammenarbeit der
Kitas mit dem Jugendamt und Gesundheitsamt ist, aber die Erziehungshoheit liegt
grundgesetzlich verankert bei den Eltern!
Abschließend informiert Herr Dr.
Rausch, dass bundesweit und im LOS die Sprachleistungen kontinuierlich
schlechter werden und vermehrt Sprachauffälligkeiten zu beobachten sind.
Herr Lachmann äußert sich sehr
beeindruckt über die vorliegenden Zahlen und ist der Meinung, dass doch
offensichtlich nicht genug getan wird. Daraufhin erklärt Herr Politz, dass auch er sehr betroffen ist und meint, dass jedoch
daraufhin auch vom Referenten nicht die richtigen Schlussfolgerungen gezogen
wurden. Er weist weiterhin auf die letzte Reform des Betreuungsschlüssels in
Kitas hin, die lediglich eine Rückstufung des Personalschlüssels korrigiert hat
und noch lange keinen Fortschritt darstellt oder ausreichend wäre.
Bezüglich der Schulabschlüsse fügt Herr
Lüder an, dass dieses Thema nicht gut geregelt ist und verweist auf einen
Artikel in der MOZ vom 29.08.2012.
Aus Sicht von Frau Fiedler
sind die vorhandenen Probleme so vielfältig. Dies ist nicht nur dem Elternhaus
geschuldet, es kommt auf die soziale Stellung (Sozialstatus) der Familien an, da
diese das Bildungsniveau beeinflusst.
Herr Sachse fasst zusammen,
dass sozial benachteiligte Eltern nicht genug die Sprache ihrer Kinder fördern
und für Angebote nur schwer erreichbar sind. Er ist der Meinung, dass dieses
Defizit in den Kitas ausgeglichen werden muss.
Die Präsentation wird als Anlage 2 beigefügt.